II.

Ich bin es wieder: Eincla. Nun wollt ihr bestimmt wissen, welches Einzelzimmer Geschichten auf Lager hat, die man in keinem Geschichtsbuch finden kann. Passend zur Jahreszeit, habe ich etwas für euch. Ein Weihnachtsmärchen, um es auf den Punkt zu bringen.

Lasst uns gemeinsam in die Vergangenheit eintauchen.

Es hat sich in den 30-er Jahren abgespielt. Ich werde schon nicht mehr bewohnt. Meiner einer wird als extra Zimmer genommen. Für extra Zweisamkeit, wenn ich das so sagen darf. Ein Mann kommt des öfteren mit seiner Geliebten zu mir. Hier verbringen sie heimlich gemütliche Stunden und tauschen Liebesschwüre aus. Dieser Mann ist bereits verheiratet. Nun aber ist er wohl voller Liebe, so dass er noch etwas für eine junge Dame übrig hat. Diese Dame empfängt er regelmäßig mit heißem Verlangen.

Dann ist es wieder soweit: es weihnachtet. Wir schreiben das Jahr 1939. Der Mann ist mittlerweile 52Jahre alt. Seine drei Kinder führen ihr eigenes Leben, doch das weihnachtliche Familienfest führt alle zusammen. Alle? Nun ja, die junge Geliebte bleibt außen vor. Sie darf jedoch heimlich für ein weihnachtliches Beisammensein in meine vier Wände kommen.

Unter den Vorwand etwas frische Luft schnappen zu wollen, macht sie sich auf den Weg vom Elternhaus, um im Liebesnest zu sein. Schnell ist sie am Ziel angelangt. Niemand hat sie gesehen, als sie durch das Treppenhaus geht. Sie wartet. Zur ausgemachten Uhrzeit am Ort, der nur für die beiden bestimmt ist. Geduldig, jedoch sehnsüchtig die Küsse zu empfangen.

Die Zeit verstreicht. Die Dunkelheit bricht herein und mit ihr die Hoffnungslosigkeit. Sie ist alleine und hat ihr Herz einem Mann geschenkt, der 28Jahre älter ist. Ein wohlhabender Mann, der gesellschaftlich seine Position erlangt hat und verankert in seiner Familie ist. Ein Mann, der unerreichbar für sie ist. Für sie, da sie nur aus einfachen Verhältnissen stammt.

Die junge Frau bricht in Tränen aus. In der Stille und Dunkelheit realisiert sie, welch unrealistischen Traum sie all die Zeit hinterher gejagt hat. Ein Traum, der in der weihnachtlichen Besinnung zerplatzt wie eine Seifenblase. Ein Traum, der sie mit Liebe und Leben erfüllt hatte.

Noch möchte sie nicht Heimkehren. Zu verweint sind ihre Augen. Zu zerbrechlich fühlt sie sich, um in Gesellschaft zu sein. Zu schwach, um mit dieser Erkenntnis durch ihr Leben zu schreiten.

War sie doch in festlicher Stimmung aufgebrochen. War sie doch voller Freude etwas Zeit mit ihrem Geliebten zu verbringen. War sie doch glücklich darüber dieses heimliche Treffen zu Weihnachten zu haben.

Diese Heimlichkeit. Sie ist es, die das Spiel gefährlich werden lässt. Die den Menschen Masken aufsetzt. Die ins Netz voller Verstrickungen führt.

Die junge Dame weiß nicht, wie viel Zeit mittlerweile vergangen ist. Sie weiß nicht, warum sie vergessen wurde. Doch sie weiß: so möchte sie ihr Leben nicht fortsetzen. Ein Wunsch brennt ihr auf dem Herzen. Einen Wunsch, den sie sehnlicher als alles andere herbei sehnt. „Oh Weihnacht, lass mir diesen einen Wunsch und bringe ihn zur Erfüllung.“, bricht es aus ihr heraus, „Nur diesen einen Wunsch habe ich.“

Es ist Zeit „Ade“ zu sagen. Zu dieser Heimlichtuerei: „Ade!“. Zu diesem Lebenstraum: „Ade!“. Zu diesem Mann: „A…!“

Da betritt er den Raum, eilend zu ihr und umschlingt sie liebevoll. Unendlich viele Küsse bevor das erste Wort gesprochen wird: „Entschuldigung.“, flüstert der Mann, „bitte verzeih mir, dass ich so spät dran bin.“. Und jetzt erst bemerkt er die Traurigkeit in den Augen seiner Geliebten. Die Dunkelheit verbarg das tränenreiche Antlitz.

Beide hatten die Erkenntnis, dass es so nicht weiter gehen kann. Als ob der weihnachtliche Zauber den gleichen Gedanken in die Köpfe der beiden gepflanzt hat. Das heimliche Paar, dass sich selbst überdrüssig geworden ist.

„Ich verspreche Dir, nächste Weihnachten feiern wir gemeinsam“, sagt der Mann, „Du hast mein Wort“. Die Frau bleibt stumm. Er fährt fort: „Und dann leben wir zusammen, bis ans Ende unserer Tage“. Die Frau weiß darauf nichts zu sagen. Unglaublich ist für sie dieser Gedanke. Es ist spät geworden. Sie zieht ihren Mantel an und geht.

In einem Jahr kann viel passieren. Und Dinge können wiederum auch unverändert bleiben. Doch was sich im Laufe des darauf folgenden Jahres abgespielt hat, ist der Grund, warum diese Geschichte erzählenswert ist.

Die Ehefrau des Mannes, sonst fit und munter mit ihren 49Jahren, bekommt gesundheitliche Probleme. Es geht so weit, dass ihre Nieren versagen und sie das Zeitliche segnet.

Man möchte meinen, dass es Zufall ist. Man mag behaupten, dass der Mann mit dem ein oder anderen Mittelchen nachgeholfen hat. Oder man glaubt an Wunder. An den Wunsch der jungen Frau. In jener Nacht wünschte sie sich nichts sehnlicher, als das Leben mit dem Mann zu teilen, der für sie bestimmt ist. Egal wer es sein mag. Vollen Herzens richtete sie ihren Wunsch an die Engel der Weihnacht.

Und ein Jahr später bedankt sie sich dafür, dass dieser Wunsch in Erfüllung gegangen ist. Der Mann hat sein Wort gehalten. Sie feiern Weihnachten zusammen. Ohne Heimlichtuerei. Der Witwer nimmt die junge Dame zur Frau und sie leben bis ans Ende ihrer Tage zusammen.

Etwas Zauber liegt in der Luft zur Weihnachtszeit. Eine Prise Magie, die Wünsche wahr werden lässt. Sie müssen nur vom Herzen kommen.

Aber das wisst ihr Menschen bestimmt besser als ich. Ich bin ja nur ein Einzelzimmer, dass Geschichten erzählt.

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Deutsche Fassung Geschichten des LebensLeave a Comment on Eincla

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