Wir schreiben den 11.Februar 2020. Zamalek. Ein Stadtteil von Kairo. Eine Insel. Umringt vom Nil.

Gesund und munter ein paar Stunden die Atmosphäre der Stadt aufsaugen. Leichten Fußes einfach mal durch die Straßen schlendern.
Der Hals ist trocken. Er kratzt. Es wäre zu schön zu behaupten, es wäre der Sahara-Staub. Das würde doch in der Phantasie ein abenteuerliches Beduinenleben zum Vorschein bringen. Der Wüstensand schwebt zwar auch in der Luft. Doch ist es eher der Smogg, der kratzt. Die Abgase der Autos. Eine Dauerdunstwolke.
Straßen voller Fahrzeuge. Minibusse. Motorroller. Fahrräder. Kutschen. Reisebusse. Alte Autos, reif für den Schrottplatz. Neue Modelle, die von einem Luxusleben erzählen. Eines haben jedoch alle Autos gemein: mindestens eine Delle, eine Schramme, oder ein kaputtes Teil. Autounfälle scheinen hier auf der Tagesordnung zu stehen. Fast schon so, als ob ein Stolz aufkommt, je mehr Dellen das Auto vorweist. Wie die Kriegsnarben eines tapferen Kämpfers.
Ein Klangteppich bettet das Dellen-Paradies ein. Ununterbrochenes Hupen. Womöglich ist die Hupe mit der Kupplung verbunden. Anderenfalls macht es keinen Sinn, dass ständig ein Hup-Geräusch wahrzunehmen ist. Viele Hup-Töne von ein und dem selben Auto. Gleicht einem Morsezeichen. Nur eben akustisch. Tatsächlich. Ein Beispiel: fünf Mal die Hupe betätigen im bestimmten Rhythmus hat seine Bedeutung. Eine, die unaussprechlich ist. Diese Schimpfwörter wurden auf Deutsch noch nicht erfunden. Dafür eine Übersetzung für ein rhythmisches zwei Mal hupen: ‘Ich liebe Dich’. Das wird allerdings weniger gehupt. Unzählige Rhythmen. Es würde sich lohnen, ein spezielles Wörterbuch für den Straßenverkehr zu erstellen. Ein Hupkonzert vereint das Volk. Eine Kommunikationsform von einer rollenden Blechbüchse zur nächsten.
Eine Blechlawine. Zweispurige Straßen werden zu drei, gar vier Spuren ausgereizt. Schließlich gibt es häufig keine Mittelstreifen. Auch wenn es welche gibt. Egal. Man könnte meinen ein ökonomischer Gedanke steckt dahinter, weshalb sich viele in eine Spur drücken. In Wahrheit ist es die Ungeduld. Ein Zeitdruck. Bei einem Rennen, ohne gemeinsames Ziel, der erste sein zu wollen. Das Überqueren einer solchen Straße als Fußgänger ist Adrenalin pur. Schweißbad inklusive. Vor lauter Hupen ist wohl in Vergessenheit geraten, dass es eine Bremse gibt.
In kleinen Straßen, durch die tatsächlich nur ein Auto passt, sind stets Passanten auf der Fahrbahn. Bürgersteige, die als solche schwer zu erkennen sind, werden gemieden. Bei Benutzung eines Gehsteigs ist festes Schuhwerk von Vorteil und Bergsteigerkenntnisse. Direkt ist zu erkennen, wer das Laufen auf der Straße gewohnt ist und wer nicht. Ein paar wenige Touristen, die ohne Reisegruppe unterwegs sind, bahnen sich ängstlich ihren Weg.
Es ist kühl. Normal für diese Jahreszeit. Ansonsten ist es trocken. Nur jetzt nieselt es. Es ist irritierend. Es könnte auch das Kondenswasser der überall vorhandenen Klimaanlagen sein. Auch irritierend ist ein freundlich zugerufenes ‘Welcome in Egypt’ oder ‘Good morning’. Freundlich wird geantwortet. Eine kurze Begegnung. Einfach nur freundlich. Das war’s auch schon. Schön.
Ein kleines Geschäft vollgestopft mit Lebensmittel. Neben dran ein Café. Daneben ein Elektrogeschäft. Eine Shisha-Bar. Handwerkskunst. Metzger. Kiosk. Café. Obstladen. Imbiss. Schreiner. Saftbar. Café. Spielzeugladen. Café. Ja, das Café lädt zum Verweilen ein.

Wieder aus dem Gebäude rausgetreten. Erst jetzt realisierend, was das doch für eine Ruhe-Oase war. So, nun heißt es wieder den ägyptischen Rhythmus aufnehmen. Alle Antennen auf Empfang schalten. Der Weg führt über eine Brücke ins Zentrum. Nach Downtown. Zackigen Schrittes. Dicht am Straßenrand. Google maps ist zur Kontrolle auf dem Bildschirm des Smartphones. Das Smartphone, griffbereit, in der Jackentasche. Auf der anderen Seite der Brücke angekommen, wird die Straße von Meter zu Meter voller. Voller mit Kleiderstangen. Darauf unterschiedlichste Kleidung. Modern. Von Baby- zu Erwachsenengrößen. Ein Farbenmeer. Auf der rechten Seite also: Kleiderstangen. Links: Autos, die knapp vorbeischrammen. Ein Minibus, der hupt und anhält. Und weiterfährt. Autos, die parken. Menschen, die die Straßenseite wechseln. Motorradfahrer, die etwas zurufen. Ein Hupen. Huch. Der war jetzt echt nah dran. Ein fahrender Bus, in den ein Mensch springt. Sobald der Mensch dem Inhalt des Busses angehört, gibt der Bus wieder Vollgas. Ein Minibus hält. Drei Menschen steigen aus. Und zwei von denen wieder ein. Eine Abwechslung zur Kleidung auf der Rechten: Obst. Aufgebart. Weiter geht es mit Kleidung rechts und Autos links.
Ziel ist der Arbeitsplatz einer Freundin. Mit ungewolltem Umweg dort angekommen. Ein Reich für sich.

Ein ungläubiges Gesicht der Freundin. Ja, diese Strecke wurde zu Fuß zurück gelegt. Ein überraschtes ‘schön’ von ihrem Chef, der von dem Fußmarsch erfahren hat. Ist hier doch jeder mit dem Auto unterwegs. ‘Schön’. Na, schön ist anders. Da hallt just eine Vorwarnung einer anderen Freundin im Ohr nach: „Kairo ist alles, nur nicht schön.“ Hihihi Tatsächlich. Da habe ich schon ganz andere Orte auf der Welt gesehen. Die sind schön.
Die Atmosphäre der Stadt aufgesaugt. Lungen sind am Limit. Sie fühlen sich schwer an. So auch die Füße. Weiterhin munter. Doch Zweifel kommen auf. Das war wohl der gesundheitsschädlichste Spaziergang überhaupt. Die Kehle ist trocken. Ein Glas Wasser tut seinen Zweck. Es ist Staub in den Augen. Ach, wäre das doch nur der Wüstensand.


Geil zweimal hupen heißt ich liebe dich-
Die Leute hupen mehr als das sie bremsen….
Miiiiip miiiip
So eine Anarchie wie auf den Straßen Kairos, habe ich bis jetzt noch nicht erlebt. Mal schauen, welches Land das trumpft 😉
Miiiiiip miiiiip